Bundesgericht
Fatale Provokation mit dem Stinkefinger
Markus Felber, Luzern
Wer von aggressiven Zeitgenossen verbal und mit Gesten provoziert wird, fährt versicherungsrechtlich besser, wenn er davon absieht, ihnen den ausgestreckten Mittelfinger zu zeigen. Wird er nämlich deswegen zusammengeschlagen, darf die Unfallversicherung ihre Leistungen laut einem Urteil des Bundesgerichts wegen Beteiligung an einer Schlägerei kürzen (Art. 49 Unfallversicherungsverordnung).
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hatte die von der Versicherung vorgenommene Halbierung der Taggelder nicht akzeptieren wollen, weil das Zeigen des Stinkefingers wohl eine provokative Geste sei, aber nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht zur Folge habe, dass man bewusstlos geschlagen werde. Damit müsse vernünftigerweise keiner rechnen, meinten die kantonalen Richter und verneinten einen rechtlich relevanten (adäquaten) Kausalzusammenhang zwischen der obszönen Geste und den erlittenen Frakturen.
Genau umgekehrt entschied in der Folge das von der Versicherung angerufene Bundesgericht. Dass das im Auto sitzende Opfer von den Tätern provoziert und bei der Ausfahrt aus dem Parkhaus behindert wurde, sei «unerheblich». Entscheidend ist laut einstimmig ergangenem Urteil der I. Sozialrechtlichen Abteilung, «dass er darauf in einer Art und Weise mit einer Gegenprovokation reagiert hat, die das folgende Unheil geradezu heraufbeschwor».
Es sei «weltfremd» vom Zürcher Sozialversicherungsgericht, unter solchen Umständen einen rechtlich erheblichen Kausalzusammenhang zu verneinen. Das Bundesgericht will den Tätern kein Verständnis entgegenbringen, doch ist nach seiner Auffassung in der heutigen Zeit mit einer solchen Eskalation einfach zu rechnen. Wer trotzdem den Mittelfinger zeigt, trägt daher laut dem Urteil aus Luzern ein Mitverschulden am Unfall, für das die Gemeinschaft der Versicherten nicht einzustehen hat.
Urteil 8C_932/2012 vom 22. 3. 13
Quelle:
http://www.nzz.ch/aktuell/schweiz/fatale…nger-1.18060907